Die Zerschlagung eines Imperiums

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netflix_warner_banner-1024x455 Die Zerschlagung eines Imperiums

Die meisten von euch dürften es wahrscheinlich schon irgendwie mitbekommen haben, der Streaming-Gigant Netflix wird, vorbehaltlich behördlicher Genehmigungen, das legendäre Studio Warner Bros. Discovery übernehmen. Die Nachricht, die von Netflix mittlerweile auch selbst per Mail an die Abonennten kommuniziert wurde, ist ein Paukenschlag in Hollywood.

Unabhängig davon, ob nun Netflix oder am Ende der kürzlich in den Ring gesprungene Gegenbieter Paramount den Zuschlag erhält, der Ausverkauf eines Studios, vorallem mit der kulturellen Tiefe von Warner Bros. ist ein kritisches Signal. Es geht nicht nur darum, wer künftig Harry Potter, Game of Thrones oder dem DC Universe ein Zuhause gibt, sondern um die langfristigen Auswirkungen auf uns alle: als Konsumenten, Kinogänger und Sammler.

Auf den ersten Blick könnte man sich freuen, denn die Netflix Bibliothek wächst quasi über Nacht enorm an und man man hat vielleicht sogar ein Abo weniger an der Backe. Diese kurzfristige Bequemlichkeit wird aber teuer erkauft.

Der Deal im Überblick

Was Netflix für 83 Milliarden kauft

Netflix plant also die Übernahme der Film- und Fernsehstudios von Warner Bros. Discovery sowie der Streamingdienste HBO Max und HBO für rund 83 Milliarden US-Dollar.

Was wandert in den Netflix-Bestand? Im Wesentlichen erwirbt Netflix die „Kronjuwelen“ der Warner-Historie, also die gesamte Content-Bibliothek inklusive Klassikern wie Casablanca und Popkulturgut wie Friends, die Film- und TV-Produktionsstudios und vor allem die wertvollsten Schlüssel-Franchises wie DC, Harry Potter, Game of Thrones, Lonney Tunes und generell das gesamte HBO-Portfolio.

    Der Deal ist zwar noch nicht final unter Dach und Fach, denn es stehen noch die Zustimmung der Aktionäre und die kartellrechtliche Genehmigung aus. Allein die Tatsache, dass selbst US-Präsident Trump angekündigt hat, die Fusion wegen potenzieller Marktmacht kritisch zu prüfen, zeigt, wie explosiv die Situation ist. Dennoch ist klar, Warner wird in kürzer über die Ladentheke wandern.

    Die kurzfristigen Auswirkungen

    In der ersten Instanz wird ein großer Player eliminiert. Das monatliche HBO Max/Max-Abo wird obsolet. Künftig ist alles Wichtige, von Stranger Things bis Succession in einer App vereint. Der neu fusionierte Konzern wird mit über 400 Millionen Kunden weltweit zum unumstrittenen Marktführer und bietet eine beispiellose Menge an Premium-Inhalten. Das Abonnement wird quasi unverzichtbar, was durchaus auch bequem ist. Doch diese Bequemlichkeit ist trügerisch.

    Was uns der Ausverkauf wirklich kostet

    Hier liegt das eigentliche Problem. Die Übernahme ist kein Gewinn für uns als Konsumenten, sondern ein schwerwiegender Verlust für die Vielfalt, die Kultur und unseren Geldbeutel. Die Beseitigung eines großen Konkurrenten beseitigt gleichzeitig den wichtigsten Druckpunkt, nämlich die Preisgestaltung.

    Massive Preiserhöhungen stehen an. Sobald die Fusion abgeschlossen ist, hat der neue Megakonzern einen derart dominanten Marktanteil, dass er als faktisches Monopol agieren kann. Der Anreiz für Kampfpreise sinkt rapide, während die Preise für das (nun unverzichtbare) Abo mittel- bis langfristig spürbar steigen werden. Nicht zuletzt um auch die Kosten des Deals wieder rein zu bekommen.

    Die einzigartige, qualitätsfokussierte Identität von HBO und Warner, die den Kreativschaffenden oft große Freiheiten gewährte, wird der „Geschwindigkeit und Masse“ des Netflix-Algorithmus zum Opfer fallen. Die Folge daraus: statt risikoreicher, innovativer Projekte gibt es Content, der garantiert weltweit skalierbar und algorithmus-konform ist. Die kreative Vielfalt wird geopfert und alles mit dem Netflix-Filter glatt gebügelt.

    Die Zerstörung der traditionellen Verwertungskette

    Zwei zentrale und bereits bröckelnde Säulen der Industrie geraten durch die Übernahme zudem zusätzlich unter Druck. Das Kino droht überflüssig zu werden. Warner Bros. war lange Zeit ein Verteidiger des Kinos. Netflix hingegen ist bekannt dafür, Filme nur minimal oder gar nicht in die Kinos zu bringen. Die Gefahr ist, dass Warner-Blockbuster künftig zeitgleich oder nach einer extrem kurzen Spielzeiten ohne weitere Kosten im Standard-Abo landen. Dies entwertet das Kinoticket, zerstört das traditionelle Auswertungsfenster und bedroht die Existenz lokaler Kinosäle, die auf diese großen Titel angewiesen sind.

    Auch für Sammler von DVDs, Blu-rays und 4K UHDs, wie ich es bin, ist die Übernahme ein Albtraum. Das Geschäftsmodell von Netflix basiert auf dem Besitz von Abonnenten, nicht auf dem Verkauf von Inhalten. Ein von Netflix geführter Warner-Konzern wird kaum noch ein Interesse daran haben, den physischen Markt mit der nötigen Priorität zu bedienen. Die Sammlung wird noch mehr zur Nische, die physische Verfügbarkeit von Inhalten zur Seltenheit. Zudem ist auch dies eine Signalwirkung an die verbliebenen Player der Branche.

    Kontrollverlust über Inhalt und Versionstreue

    Der Umstieg auf reines Streaming bedroht die Integrität der Kunstwerke selbst. Denn die Gefahr der Modifikation von Filmen ist kein was wäre Wenn Szenario, sondern schon heute brutale Realität.So wurde im Klassiker Brennpunkt Brooklyn auf diversen Plattformen stillschweigend eine Szene entfernt, um den Protagonisten moralisch zu bereinigen. Auf Disney+ griff man bei Splash sogar mittels CGI direkt in das Bildmaterial ein und animierte der Darstellerin längere Haare, um ihren nackten Hintern zu verdecken. Und bei Serien wie Community oder 30 Rock verschwanden ganze Episoden restlos aus den Katalogen, wodurch Handlungsstränge nun ins Leere laufen.

    Im Streaming-Kosmos ist der Inhalt einfach nicht mehr statisch. Filme und Serien können jederzeit angepasst werden, sei es, um aktuelle politische und soziale Sensibilitäten zu bedienen, oder um sie für Werbeformate zu optimieren. Die endgültige Kontrolle über das Werk und seine Geschichte liegt damit vollständig beim Plattform-Betreiber.

    Piraterie als letzter Retter

    Fehlt das physische Medium als unveränderliches Archiv, bleibt dem Konsumenten, dem Fan, keine Sicherheit mehr, die „Original Version“ eines Meisterwerks zu besitzen. Ironischerweise wird in diesem hochkonsolidierten Umfeld die Piraterie zum letzten Mittel, um die ungekürzte, unveränderte Filmversion zu sichern und sie dauerhaft, unabhängig von der Plattform, zugänglich zu machen.

    Stimmen aus Hollywood

    Die Übernahme wird in der Filmmetropole nicht gefeiert, sondern als eine existenzielle Bedrohung für das Studio-Ökosystem wahrgenommen. Die Reaktionen der Gewerkschaften und Filmschaffenden sind überwiegend kritisch und warnend. Mehrere große Hollywood-Gewerkschaften schlagen Alarm, da sie massive Marktkonzentration, Arbeitsplatzverluste und eine Schwächung ihrer Verhandlungsmacht befürchten.

    Die Autorengewerkschaft lehnt den Deal besonders scharf ab und fordert, dass die Übernahme kartellrechtlich blockiert werden sollte. Sie argumentiert, der Zusammenschluss gefährde den Wettbewerb und die Beschäftigungsmöglichkeiten für Autorinnen und Autoren massiv. Die Schauspielergewerkschaft spricht von „ernsten Fragen“ zur Zukunft der Branche und will den Deal detailliert prüfen. Sie betont bereits jetzt mögliche negative Folgen für Schauspielerinnen, Schauspieler und andere Kreative.

    Die Gewerkschaft der Regisseure äußert „erhebliche Bedenken“ und verweist darauf, dass eine vielfältige, wirklich konkurrierende Industrie entscheidend sei, um Karrierechancen und Rechte von Regisseurinnen und Regisseuren zu schützen. Auch viele technische und logistische Berufe die am Set vertreten sind, warnen vor einem giergetriebenen Konzentrationsprozess, der gute Gewerkschaftsjobs und die Stabilität der gesamten Branche bedrohen könne.

    Verlust des Kinos

    Kinoverbände und Kinoketten kritisieren, dass ein so großer Streaming-Konzern, kombiniert mit einem Major-Studio, die Zahl klassischer Kinostarts drücken und die Einnahmen der Kinos weiter unter Druck setzen könnte. Inhaltlich geht es dabei vor allem um die weitere Verschiebung hin zu Streaming und weg vom Kino. Sie warnen vor einer noch stärkeren Abhängigkeit von einem einzelnen, datengetriebenen Plattformkonzern und befürchten, dass Honorare und Nutzungsvergütungen noch weiter unter Druck geraten.

    Viele sehen die Übernahme im Kontext der jüngsten Streiks von Autoren und Schauspielern und befürchten, dass nach hart erkämpften Verbesserungen nun eine neue Welle von Kostensenkungen und Restrukturierungen kommen könnte.

    Vertragstreue vs. Marktmacht

    Die Sorge um Kostensenkungen führt unweigerlich zum Thema Künstliche Intelligenz. Durch die Fusion erhält der Streaming-Pionier Netflix Zugriff auf das gigantische Warner-Archiv, einen der weltweit größten Datensätze aus Drehbüchern und Bildmaterial. Dies würde die Trainingsbasis für interne KI-Modelle massiv erweitern und die Vorhersagekraft für erfolgreiche Inhalte perfektionieren. Die Befürchtung dahinter ist klar, kreative Entscheidungen könnten endgültig der Datenanalyse untergeordnet werden.

    Zwar ist Netflix als Mitglied der AMPTP (Alliance of Motion Picture and Television Producers) formell an die 2023 erkämpften Schutzvereinbarungen mit den Autoren- und Schauspielgewerkschaften gebunden. Doch als Tech-Konzern interpretiert Netflix Grauzonen traditionell aggressiver als klassische Studios. Angesichts der schieren Übermacht des neuen Megakonzerns stellt sich die Frage der Durchsetzbarkeit. Können es sich Kreative angesichts sinkender Alternativen überhaupt noch leisten, Aufträge abzulehnen, wenn Netflix die Grenzen des KI-Einsatzes neu definiert? Viele befürchten einen schleichenden Zwang zur Anpassung, da ein Boykott des dominierenden Marktführers einem Berufsverbot gleichkäme.

    Ein Erdbeben für die Konkurrenz

    Die Übernahme betrifft nicht nur Warner und Netflix. Sie ordnet die gesamte Medienlandschaft neu. Der Hauptkonkurrent Disney mit seinem Streamingdienst Disney+, der ebenfalls auf riesige Marken und Exklusivität setzt, gerät unter enormen Druck, seine eigene Content-Strategie zu verteidigen. Für Universal und andere wird es noch schwieriger, im Schatten des neuen Goliaths zu bestehen.

    Technologiegiganten wie Amazon und Apple mit ihren nahezu unerschöpflichen Finanzreserven sehen sich in ihrer Position als Content-Anbieter ebenfalls herausgefordert. Sie müssen nun möglicherweise noch aggressiver investieren, um im Kampf um die verbleibenden Content-Produzenten und Talente nicht den Anschluss zu verlieren. Der Bieterkrieg könnte sich auf alle anderen Assets ausweiten.

    Die Konsolidierung des Marktes schafft ein zweischneidiges Schwert für unabhängige und kleinere Studios wie beispielsweise A24. Da die großen Studios ihren Fokus auf massentauglichen Blockbuster-Content richten, könnte dies paradoxerweise kleinen, künstlerisch fokussierten Studios einen Freiraum für Kreative und Freidenker bieten, den die Großen nicht mehr einräumen können. Sie könnten die Nische für innovative und risikoreichere Produktionen besetzen, die vom neuen Giganten aus wirtschaftlichen Gründen vernachlässigt werden.

    Ein Nachteil überwiegt aus meiner Sicht jedoch. Mit weniger großen Abnehmern sinkt der Wettbewerb um die Lizenzen und Vertriebsrechte der kleineren Studios. Die Verhandlungsmacht konzentriert sich bei den Giganten, was die Preise und die Konditionen für kleinere Player verschlechtert und den Markteintritt neuer Akteure nahezu unmöglich macht.

    Ein Verlust, der uns alle schmerzt

    Der Ausverkauf eines kulturellen Giganten wie Warner Bros. an einen Streaming-Konzern mag aus Sicht der Unternehmensbilanzen rational erscheinen. Doch für uns, die Konsumenten, ist es ein Verlust der Vielfalt, der Kunst und des Besitzrechts. Wir bezahlen die Bequemlichkeit des „Alles-unter-einem-Dach“-Prinzips langfristig mit Steigenden Preisen, den Verlust der Kreativität und einer uniformen Content-Strategie. Zusätzlich werden ehemals wichtige Bausteine der Industrie noch stärker Bedroht.

    Es ist ein klares Zeichen dafür, dass am Ende nur noch die Kapitaloptimierung zählt, nicht das kulturelle Erbe. Die Macht konzentriert sich bei wenigen globalen Playern und dieser Macht Verlust wird über kurz oder lang auf dem Rücken der Konsumenten ausgetragen die aber aus Bequemlichkeit wohl weiterhin die Taste mit dem roten N auf ihrer Fernbedienung drücken werden. Denn machen wir uns nichts vor, die Masse der Abonnenten sind keine Filmfans, Kinoliebhaber oder gar selbst in der Branche Aktiv, sondern Menschen, die Serien und Filme im Hintergrund zur Berieselung laufen lassen.

    Wie seht ihr diese Entwicklung? Ist die augenscheinliche Bequemlichkeit des Streamings das Opfer der Vielfalt und der traditionellen Filmerfahrung wert? Schreibt es mir gerne in die Kommentare.