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Tjorben
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OnlyFans – zwischen Selbstbestimmung und Selbstobjektifizierung

Ich habe lange mit mir gerungen, ob ich zu diesem Thema etwas schreiben soll. Als Mann, der selbst nie Content auf OnlyFans produziert hat, könnte man mir vorwerfen, kein Recht zu haben, über Selbstbestimmung und Sexualität zu urteilen, insbesondere dann, wenn es um Frauen geht, die sich dort selbst als Inhalt oder neudeutsch Content anbieten. Und dennoch, das Thema lässt mich in gewisser Weise nicht los. Es beschäftigt mich gesellschaftlich, moralisch und emotional, zumal ich als Mann tatsächlich auch immer wieder ohne großes Zutun auf solche Profile aufmerksam gemacht werde, dem Instagram-Algorithmus sei Dank.
Tatsächlich gibt es Hinweise darauf, dass männliche Accounts auf Plattformen wie Instagram gezielt mit sexualisierten Inhalten angesprochen werden, insbesondere durch sogenannte Engagement-Farming-Strategien von Creator-Profilen. Eine Untersuchung des Portals Netzpiloten beschreibt, wie algorithmische Logik dazu führt, dass entsprechende Inhalte bevorzugt in die Timelines männlicher Nutzer gespült werden. Das mag zunächst harmlos erscheinen, führt aber dazu, dass sich viele männliche Nutzer, bereits ab 13 Jahren, ungewollt in einem Sog aus erotisch aufgeladenem Content wiederfinden, ohne je gezielt danach gesucht zu haben.
Auch darum habe ich mich mal auf die Plattform begeben und mit der einen oder anderen Dame, die dort sich bzw. ihre Inhalte bewirbt und vertreibt, den Kontakt gesucht, weil ich verstehen wollte, warum und weshalb OnlyFans anscheinend zu etwas alltäglichem geworden ist.
Um überhaupt in den Austausch zu kommen, habe ich in einigen Fällen auch kleinere Beträge investiert. Nicht viel, meist im einstelligen Bereich, aber genug, um zumindest einmal hinter die Fassade blicken zu können. Natürlich gab es Inhalte, die mir auch gefallen haben, ich war schließlich nicht völlig immun gegenüber der aufreizenden Inszenierung. Doch mir war von Anfang an klar, dass ich auf OnlyFans nicht nur zum Zeitvertreib unterwegs bin, sondern mit dem Anspruch, das System besser zu verstehen. Und genau das machte viele Begegnungen so ernüchternd.
Meine Gedanken, die ich während und nach dieser Recherche hatte, möchte ich nun hier teilen. Nicht als Urteil, sondern als Einladung zur Diskussion. Niemand muss meine Meinung teilen, aber ich denke, wir sollten uns die Zeit nehmen, darüber mal nachzudenken und zu sprechen.
Was ist OnlyFans überhaupt?
OnlyFans wurde 2016 vom britischen Unternehmer Timothy Stokely gegründet, der zuvor bereits mehrere Plattformen im Bereich der Erwachsenenunterhaltung betrieben hatte. Dazu zählten unter anderem GlamWorship, eine Fetisch-Plattform, auf der Nutzerinnen individuelle Videoanfragen stellen konnten. Das Projekt scheiterte, weil viele die Bezahlmechanismen umgingen. Customs4U, eine Plattform für personalisierte Erotikvideos, sorgte durch niedrige Einstiegshürden für Marktsättigung und Frust bei den Darstellerinnen. Ein weiteres, sehr kurzlebiges Projekt außerhalb der Erotikbranche war 121with. Hier konnten User Videocalls mit Handwerkern und anderen Experten führen, um Fachfragen zu klären. Auch diese Plattform fand kaum Anklang.
Die Erkenntnis aus diesen Projekten war, dass Content Creator zwar auf Plattformen wie Instagram eine große Reichweite haben, aber diese insbesondere bei erotischen Inhalten nicht direkt monetarisieren konnten. Mit einem Startkapital von zehntausend Pfund, das sich Stokely von seinem Vater geliehen hatte, entwickelte er OnlyFans als abonnierbares Social-Media-Modell. Die entscheidenden Elemente waren direkte Bezahlung zwischen Fans und Ersteller, Fokus auf personalisierte Inhalte und Monetarisierung über Abonnements. OnlyFans startete mit gerade einmal fünf Kreatoren. Der große Durchbruch kam jedoch erst während der Corona-Pandemie, als Millionen Menschen zu Hause saßen, teils in Kurzarbeit oder auf Jobsuche, und gleichzeitig digitale Ablenkung suchten. Die Plattform bot eine einfache Möglichkeit, mit persönlichem oder erotischem Content Geld zu verdienen, eine neue und leicht zugängliche Einkommensquelle.
2018 stieg der ukrainisch-amerikanische Investor Leonid Radvinsky ein, der bereits mit der Erotikplattform MyFreeCams große Erfolge gefeiert hatte. Er übernahm den Großteil der Anteile an OnlyFans, während Stokely bis 2021 weiterhin als CEO fungierte. Spätestens hier nahm OnlyFans endgültig die Abbiegung in die Erotikbranche. Zuvor waren Erwachseneninhalte zwar nicht ausgeschlossen, doch das Ziel war ursprünglich ein allgemeiner digitaler Marktplatz für Inhalte aller Art.
Heute ist OnlyFans in der Mitte der digitalen Gesellschaft angekommen. Promis wie Bella Thorne oder Cardi B trugen international dazu bei, das Image der Plattform zu normalisieren. Mit über 300 Millionen Nutzerkonten und mehr als 3,5 Millionen aktiven Anbietern weltweit ist die Plattform nicht mehr nur ein Ort für Nischen-Content. OnlyFans ist Big Business. Und das in einem Bereich, der lange Zeit als Schmuddelecke galt.
Selbstbestimmung oder Selbstobjektifizierung
Auf den ersten Blick klingt es nach Empowerment. Überwiegend Frauen, aber auch Männer verdienen Geld mit ihrer Sexualität. Selbstbestimmt, unabhängig und vermeintlich ohne Mittelsmänner. Doch wie frei ist diese Entscheidung wirklich, wenn finanzielle Not oder sozialer Druck mitschwingt. Wenn die Algorithmen von Instagram und TikTok vor allem jene Content Creator belohnen, die besonders viel Haut zeigen. Und Agenturen im Hintergrund nur der moderne Zuhälter sind. Das mag sicher nicht auf alle zutreffen, aber doch auf einige.
Seit den Neunzigern erleben wir eine zunehmende Sexualisierung in der Popkultur. OnlyFans markiert hier einen vorläufigen Höhepunkt dieser Entwicklung. Es ist nicht mehr der Playboy im Zeitschriftenregal oder versteckt unter dem Bett, sondern das Smartphone auf dem Nachttisch. Und viele der „Performer“ sind sehr jung, nicht selten Anfang zwanzig, manchmal sogar jünger. Die Versuchung, sich schnell ein Einkommen aufzubauen, ist groß. Doch was heute wie eine clevere Einnahmequelle erscheint, kann morgen zum Problem werden. Spätestens, wenn der eigene Name gegoogelt oder das Foto mal durch die Gesichtserkennung gejagt wird.
Einmal hochgeladene Inhalte verschwinden nie wirklich aus dem Netz. Es gibt inzwischen zahllose Seiten, die geleakte OnlyFans-Inhalte weiterverbreiten. Die Kontrolle über das eigene Bild ist trügerisch. Und während die Plattform selbst den erstellenden Nutzern viel Verantwortung überlässt, sorgt sie mit Rabattaktionen, Rankings und Statistiken dafür, dass sich das System immer weiter dreht.
Und genau hier beginnt mein Unverständnis. Wie wenig Schamgefühl herrscht mittlerweile vor, seinen Körper in aller Öffentlichkeit teils sehr explizit für ein paar Euro zu präsentieren. Das Gefühl, sich zu billig herzugeben oder sich gar in gewisser Weise zu prostituieren, auch wenn reale Treffen meist ausgeschlossen sind, scheint kaum mehr vorhanden zu sein. Es wirkt wie Normalität. Und das macht mich stutzig. Vor allem, weil es oft sehr junge Frauen sind, die gerade erst achtzehn oder Anfang zwanzig Jahre alt sein sollen. Das schnelle Geld winkt, doch die Tragweite dessen, was da so im Netz von sich geteilt wird, scheint selten bedacht zu werden.
Zwischen Zuwendung und Verkaufsmasche – wie mit Nähe Geld verdient wird
Was mich in den letzten Wochen besonders nachdenklich gemacht hat, war nicht nur der Content an sich, sondern die Art, wie auf der Plattform mit Nähe gespielt wird. In mehreren Gesprächen mit verschiedenen Kreatorinnen habe ich beobachtet, wie stark das System darauf ausgelegt ist, den Eindruck persönlicher Verbundenheit zu erzeugen – unabhängig davon, wie aufrichtig oder inszeniert diese Verbundenheit letztlich ist.
Schon kurz nach dem Abo trudeln vermeintlich persönliche Nachrichten ein. Man wird direkt beim Namen genannt, gefragt, was man mag, was einen antörnt, was man gerade macht. Oft entsteht der Eindruck, als würde da wirklich jemand echtes Interesse zeigen. Doch die Antworten bleiben austauschbar, wirken aufgesetzt, folgen einem immer gleichen Ablauf. Mal mit kleinen Rechtschreibfehlern, mal mit besonders vielen Emojis, alles wirkt darauf ausgerichtet, einen möglichst nahen, fast intimen Gesprächston zu erzeugen. Doch sobald man aufhört darauf einzugehen oder gar nicht gewillt ist zu zahlen, flacht die Interaktion spürbar ab oder verlagert sich ungeachtet des bisherigen Verlaufs des Gesprächs einfach wieder auf Verkaufsangebote.
Was mir dabei besonders aufgefallen ist, ist dass die Fantasien, die man äußert, zwar kurz aufgegriffen und in seltenen Fällen auch weitergesponnen werden, meist heißt es aber „und was würdest du noch gerne machen?“. Auch wird immer wieder die Frage nach den selben Vorlieben gestellt, ein Gedächtnis scheint nur spärlich vorhanden zu sein. Dabei wird nahezu jede intime Vorstellung sofort mit neuen Bildpaketen, Sprachnachrichten oder besonderen Clips verknüpft, die sich, wenig überraschend, gegen Geld freischalten lassen. Das eigentliche Gespräch ist letztendlich nicht mehr als ein Vehikel fürs Upselling.
Dabei gibt es eine feine Grenze zwischen erotischem Rollenspiel und emotionaler Manipulation. Viele der Anbieterinnen oder besser gesagt die Personen hinter den Accounts, verwenden Formulierungen wie „du machst mich gerade richtig heiß“ oder „ich hab mich extra für dich umgezogen“. Doch oft merkt man schnell, dass hier ein Skript abgearbeitet wird, mal durch vergessene Aussagen, mal durch Antworten, die völlig losgelöst vom Gespräch davor stehen.
In einem Fall wurde ich sogar mit immer neuen Angeboten unter Druck gesetzt, obwohl ich mehrfach ehrlich kommuniziert hatte, dass ich nichts kaufen möchte. Stattdessen wurde mir mit emotionalen Floskeln suggeriert, dass ich etwas verpasse, als ob meine Zurückhaltung gleichzeitig Ablehnung gegenüber der Frau dahinter bedeuten würde.
Ein anderes Muster ist die gezielte Romantisierung. Da werden Träume von gemeinsamen Kuschelstunden, Spaziergängen, Kochabenden und sogar Beziehungsfantasien aufgetischt. Nicht selten geht es schnell nicht mehr nur um Sex, sondern um Zweisamkeit, emotionale Geborgenheit, eine Nähe, die gerade für einsame oder emotional verletzliche Menschen besonders anziehend wirkt. Man fühlt sich gesehen, begehrt, verstanden. Und genau das scheint Teil der Strategie zu sein.
Was mich ebenfalls irritiert hat, war der Umgang mit sogenannten Dick Pics, also Penisbildern. In mehreren Chats wurde ich sehr schnell nach solch einem Bild gefragt, teils direkt, teils spielerisch verpackt mit Sätzen wie „Show me your cock“, „I’m dying to see it“ oder „Do you dare to show me?“. Kurz darauf folgte dann das Angebot, diesen zu bewerten. Die Rede war von einem „Dick Rating“, das in den meisten Fällen extra kostet. Mit Sieben bis zehn Dollar, plus Steuern versteht sich, ist man dabei und bekommt dann ein paar Zeilen, in denen angeblich ganz individuell auf das Bild reagiert wird. Wie ehrlich so eine Bewertung wirklich ist, sei mal dahingestellt. Als ob man einem (zahlenden) Kunden schreiben würde, dass sein Penis zu klein, zu dünn oder schlicht unattraktiv sei.
Um das System zu hinterfragen, habe ich testweise ein Bild verwendet, das ich mit einer einfachen Google-Suche gefunden habe. Ein echtes Foto von mir wollte und musste ich auch nicht versenden, denn dieses war anscheinend überzeugend genug. In weiteren Fällen nutzte ich auch KI-generierte Bilder, eines davon mit klar sichtbaren Artefakten, die das Bild als nicht echt zu erkennen gaben. Trotzdem bekam ich nahezu schwärmerische Antworten, voller Herzchen, Auberginen, Wasserspritzer und Komplimente, wie gut er aussieht. Keine Rückfrage, kein Zweifel, kein Hinweis darauf, dass das Bild nicht echt sein könnte. In einem Fall lautete das Feedback: „You have such a perfect size“, in einem anderen: „I’d ride that all night“. Die Aussagen wirkten austauschbar, eben wie einstudierte Standardantworten anstelle einer ehrlichen Reaktion.
Kürzlich habe ich mein OnlyFans-Profil erneut geöffnet um noch einmal ein paar Details prüfen zu können. Zu meiner Überraschung hatte ich zahlreiche neue Nachrichten erhalten , obwohl ich seit längerer Zeit weder reagiert hatte noch überhaupt online gewesen bin. Viele dieser Nachrichten enthielten wieder Bilder, Cross-Postings zu anderen Accounts oder einfach nur Textnachrichten. Typische Formulierungen waren etwa „Why are you ignoring me?“ oder „Are you available right now? I’m feeling really lonely…“, oft gefolgt von direkteren Aussagen wie „I’m so horny today, are you too?“ oder „I miss our chats… talk to me baby“.
Die Art, Frequenz und Tonalität dieser Nachrichten hinterlassen bei mir noch stärker den Eindruck, dass es sich um voll automatisierte Broadcasts handelte, also systematisch an alle Abonnenten verschickte Inhalte, unabhängig von deren individuellen Gesprächen mit den Models. Diese Massenansprachen sind dabei einfach Teil einer bewussten Strategie, die eine emotionale Bindung vortäuschen soll, wo in Wahrheit kein echter Dialog mehr stattfindet. Es ist einfach die Gießkanne, die hier und da schon den Richtigen erwischen wird, nicht mehr als eine Fortsetzung der Illusion, gegen die man sich als Nutzer kaum wehren kann, weil sie immer wieder Nähe suggeriert.
Das alles unterstreicht für mich einmal mehr, worum es hier wirklich geht. Nicht um echte Nähe, nicht um Interesse an der Person. Sondern um eine gut inszenierte Verkaufsmasche, die gezielt mit Lust, Eitelkeit und Einsamkeit spielt und dabei keinerlei Authentizität voraussetzt.
Ob hinter all diesen Gesprächen echte Frauen, bezahlte Chat-Operatoren oder gar Bots sitzen, lässt sich nicht immer genau sagen. Auf Nachfrage, ob man mit einem Agenten oder Bot redet, bekommt man teils ausweichende oder vage, selten aber konkrete Antworten. Vielmehr wird mehr oder weniger charmant abgelenkt oder auch ganz provokant bis gereizt gefragt, was solch eine Frage denn soll. Mehrere Accounts verschicken zwischen durch auch die Profile anderer Frauen samt Promo-Angeboten und teasen diese als gute Freundin an. Auf weitere Nachfrage, wie gut man sich denn kennen würde, wurde das Thema aber einfach ignoriert und das nächste Verkaufsangebot gesendet. Da ich einfach mit beiden Damen Kontakt hatte, stellte sich heraus, dass die Eine zumindest in den USA, die andere in Australien residiert und sie sich höchst wahrscheinlich noch nie im Leben getroffen haben dürften. Ob die Beiden aber bei derselben Agentur unter Vertrag stehen, konnte ich nicht in Erfahrung bringen, würde aber nahe liegen. Zudem ist es unwahrscheinlich, dass egal zu welcher Tages und Nachtzeit man auf die Plattform geht, immer alle Profile online sind. Hier ist meiner Meinung nach Schichtbetrieb angesagt und sei es nur durch Bots.
Mir ist klar, dass das Teil des Geschäfts ist. Dass Erotik verkauft wird, auch durch Fantasie und Sprache. Aber wenn mit echter Einsamkeit gespielt wird, mit Wünschen nach Zuneigung, dann wird aus einem Sex-Abo plötzlich etwas anderes, eine Form digitaler Beziehung, die nur einseitig existiert. Und das kann gefährlich werden.
Digitale Spuren, rechtliche Grauzonen und fehlende Weitsicht
Was passiert, wenn man älter wird und diese Inhalte noch immer im Netz kursieren? Was, wenn Eltern, Bekannte, Schulfreunde, Kommilitonen, Freunde, Arbeitskollegen, Arbeitgeber oder gar die eigenen Kinder irgendwann, aus welchen Gründen auch immer, auf solche Bilder und Videos stoßen? Ist das dann immer noch egal? Ruhen sich diese heute jungen Menschen zu sehr auf ihrem Körper aus? Ich denke, dass wenn überhaupt nur die wenigsten langfristig von ihrem OnlyFans-Einkommen ein Leben finanzieren können. Und wenn dann kein Plan B in Form von Schulabschluss, Berufsausbildung oder Studium vorhanden ist, wird es schwierig.
Hier fehlt meiner Meinung nach ganz klar Medienkompetenz auf der einen Seite, aber auch Moral, Ethik und Schamgefühl auf der anderen. Beides spricht für eine zunehmende Verrohung unserer Gesellschaft und vor allem für eine digitale Verwahrlosung der Jugend, die im Internet von teils unbedarften, teils unfähigen Eltern einfach auf sich allein gestellt ausgesetzt wurde und keinerlei Grenzen erfahren haben. Und dieses Weltbild, das da entsteht, wird uns als Gesellschaft auf kurz oder lang auf die Füße fallen.
OnlyFans verpflichtet sich laut eigenen Richtlinien zwar dazu, keine Minderjährigen auf der Plattform zuzulassen. Dennoch tauchen regelmäßig Berichte auf, in denen von gefälschten Altersnachweisen oder Accounts die Rede ist, die offensichtlich von sehr jungen Personen genutzt werden. Die Kontrolle bleibt schwierig. Plattformen profitieren von jedem aktiven Nutzer, auch wenn dieser gegen die Regeln verstößt. Die rechtlichen Mechanismen, um hier konsequent einzugreifen, wirken oft zu langsam oder greifen zu spät.
Gleichzeitig ist unklar, wie mit Inhalten umzugehen ist, die einst freiwillig erstellt, aber später bereut wurden. Die Möglichkeit, Content dauerhaft zu löschen, besteht zwar, doch bereits geteilte Medien können längst gesichert oder weiterverbreitet worden sein. Auch Fragen zum Datenschutz, etwa über die Verwendung von Zahlungsdaten oder IP-Adressen, bleiben häufig unbeantwortet. Rechtliche Grauzonen, die vor allem junge Menschen mit zu wenig Weitblick und zu großer Euphorie ignorieren.
Freiheit mit Preisschild
Digitale Intimität funktioniert auf OnlyFans nicht über echte Nähe, sondern über kalkulierte Reize. Das Versprechen von Exklusivität, von direktem Kontakt zu jemandem, den man attraktiv findet, ersetzt in vielen Fällen zwischenmenschliche Erfahrungen. Wer einsam ist, kann hier Bestätigung finden. Wer sich sexuell unsicher fühlt, bekommt vermeintliche Anerkennung. Doch das emotionale Ungleichgewicht ist gewaltig. Der eine zahlt, die andere liefert.
Gleichzeitig darf man nicht außer Acht lassen, dass viele Content Creator sich in einer wirtschaftlichen Abhängigkeit befinden. Was als selbstbestimmte Entscheidung beginnt, endet für manche in einem Hamsterrad aus täglichen Posts, der ständigen Angst vor sinkenden Abos und dem Druck, immer mehr preiszugeben. Nur wer regelmäßig aktiv ist, wird vom Algorithmus sichtbar gemacht. Nur wer sichtbar ist, verdient Geld. Wer nicht liefert, wird ersetzt.
Und auch feministisch bleibt OnlyFans ein streitbares Thema. Einige betrachten es als Ausdruck weiblicher Selbstbestimmung, quasi als Möglichkeit, über den eigenen Körper selbst zu entscheiden und unabhängig von männlich dominierten Strukturen Geld zu verdienen. Andere sehen darin eine moderne Form der Selbstausbeutung, in der das System vorgibt, frei zu sein, aber letztlich patriarchale Muster nur neu verpackt. Denn auch wenn die Plattform sich offen und inklusiv gibt, basiert ihr wirtschaftlicher Erfolg auf der männlichen Begierde und der weiblichen Darbietung. Die Machtverhältnisse bleiben oft dieselben, nur mit einem anderen Interface.
Denn die Plattform hat längst ein System etabliert, in dem Intimität zur Währung geworden ist – und Authentizität zur Verkaufsstrategie. Wer nahbar wirkt, verkauft besser. Wer Sehnsüchte anspricht, bindet Kunden. Das Problem ist nicht die Sexualität an sich, es ist die kapitalistische Logik dahinter, die alles zur Ware macht: Körper, Nähe, Gefühle. In diesem Spannungsfeld zwischen Selbstbestimmung, ökonomischem Druck und gesellschaftlicher Erwartung liegt die eigentliche Tragik von OnlyFans.
Wenn die Kamera aus ist
OnlyFans ist nicht das Ende einer Entwicklung, sondern ihr Anfang. Schon heute drängen neue Plattformen auf den Markt, mit noch intimeren Einblicken, noch ausgeklügelteren Algorithmen, noch raffinierteren Vermarktungsstrategien. Virtual-Reality-Erotik, KI-generierte Avatare, personalisierte Chatbots mit simulierten Gefühlen: All das ist längst Realität. Und mit jedem Fortschritt verschwimmen die Grenzen zwischen echter Nähe und digitaler Simulation weiter. Dabei geht es nicht nur um Technik, sondern um eine grundsätzliche Frage, ob wir Intimität wirklich zur Ware machen wollen. Und wenn ja, zu welchem Preis?
Ich bin nicht grundsätzlich gegen Erotik im Netz. Auch nicht gegen Selbstinszenierung oder sexuelle Selbstbestimmung. Aber ich bin überzeugt, dass wir dringend über die Mechanismen solcher Plattformen sprechen müssen, über Verantwortung, über Grenzverschiebung, über digitale Würde. Denn das Internet vergisst nicht. Was heute nach Freiheit aussieht, kann morgen zur Last werden, sowohl für Konsumierende als auch für jene, die sich zeigen.
Denn was in der Debatte wie so oft untergeht ist, dass hinter jedem Account ein Mensch steckt. Mit Wünschen, Ängsten und Sehnsüchten; und das auf beiden Seiten des Displays. Menschen, die konsumieren, die sich vielleicht verlieben, Hoffnung schöpfen und verletzt werden. Wenn Intimität zur Dienstleistung wird, verlieren wir den Blick für das Menschliche. Es entsteht eine Kultur, in der Nähe käuflich, aber niemals echt ist.
Vielleicht ist das der wahre Kern meines Unbehagens. Nicht der Sex. Nicht die Nacktheit. Nicht einmal der Verkauf. Sondern das, was dabei verloren geht: Vertrauen, Echtheit, emotionale Bindung. Wir leben in einer Zeit, in der alles verfügbar scheint, Filme, Musik, Essen, Körper. Doch echte Nähe lässt sich nicht downloaden. Und Liebe ist mehr als ein Abo-Modell.
Ich schreibe das nicht aus moralischer Überlegenheit. Sondern aus Sorge. Sorge um den Umgang miteinander, Sorge um unser Bild vom Menschen und um die Frage, was wir bereit sind, füreinander zu empfinden, jenseits von Klicks und Coins.
Vielleicht ist es an der Zeit, einen Schritt zurückzugehen. Uns zu fragen, was Nähe für uns bedeutet. Was wir brauchen, um uns gesehen, geliebt, gewürdigt zu fühlen. Und ob Plattformen wie OnlyFans diese Bedürfnisse wirklich erfüllen oder es nur versprechen, aber nicht halten.
Am Ende bleibt der Wunsch, dass wir wieder lernen, einander wirklich zu begegnen. Ohne Filter. Ohne Preisschild. Ohne Abo. Sondern mit Respekt. Mit Empathie. Und mit einem offenen Herzen.
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